K.H. STRIFFLER

Die Wüstung Fudenhausen

Die Wüstung Fudenhausen

Die Wüstung Fudenhausen ist wohl mit Abstand das interessanteste unserer ehemaligen Wohngebiete. Hier liegen einige wertvolle Abschriften von Akten aus der Zeit ihres Bestehens vor. Außerdem wurde der ganze Komplex in den Jahren 1974/75 systematisch vermes­sen und maßstabgerecht kartiert. Sämtliche Grund­risse, Steinwälle und andere Reste wurden detailliert aufgezeichnet, Besonderheiten aufgeschrieben und das Ergebnis dem Geschichtsverein Herborn überlas­sen. Beteiligt waren an dieser umfangreichen Arbeit wiederum Herr Prof. Born, damals in Dillenburg, so­wie Herr K. H. Striffler, Herborn, vom dortigen Ge­schichtsverein.

Von dem Autor dieser Arbeit, Herrn K. H. Striffler, der maßgeblich an den Grabungen und Vermessungen beteiligt war, wurde für den Geschichtsverein Her­born ein sehr interessantes Modell angefertigt. Es kann in den Ausstellungsräumen der Hohen Schule in den Öffnungszeiten besichtigt werden.

Wissenschaftlich fundierte Überlieferungen über die frühgeschichtliche Besiedlung des Westerwaldes sind nicht sehr reich. Durch Bodenfunde konnte jedoch nachgewiesen werden, daß die Eisengewinnung im Lahn-, Dill- und Westerwaldgebiet bereits in die graue Vorzeit zurückreicht, während Spuren von Siedlun­gen sich in den Beginn unserer Zeitrechnung datieren lassen.

Die Besiedlung erfolgte vermutlich von der unteren Lahn her flußaufwärts gerichtet, weiter über die Hanglagen der Seitentäler und nach und nach in die höheren Gebirgslagen.

Unsichere, versumpfte Flußniederungen, immer stär­ker frequentierte vorgeschichtliche Heer- und Han­delswege über die Höhenrücken, sowie das Vordrin­gen der Köhler und Eisenschmelz(Renn)bauern in hö­hergelegene Waldgebiete und nicht zuletzt die karolin-gische Innenkolonisation begründeten fortlaufend diesen Trend.

Die Feldarchäologie — fast ausschließlich auf Boden­funde angewiesen, konnte diese kontinuierliche Ent­wicklung in unserem Gebiet mit letzter Sicherheit zwar erst ab dem frühen Mittelalter nachweisen, doch sind alle logischen Voraussetzungen für eine Fortent­wicklung frühgeschichtlicher Eisenbearbeitung und somit wirtschaftlicher und kulturgeschichtlicher Ex­pansion gegeben. Eine intensive Spatesforschung könnte hier die verbliebenen Lücken ausfüllen. Leider fehlt es auch hier — wie so oft in ideellen Bereichen — nicht an Initiative, sondern am Geld.

Ein aufschlußreiches Objekt in der Erforschung der Besiedlungsgeschichte des Westerwaldes ist die Wü­stung Fudenhausen. Die Frage nach der Entstehung einer Wüstung, das heißt nach den Gründen, weshalb die Bewohner eines jahrhundertelang besiedelten Ge­bietes plötzlich ihren Wohnplatz verließen und die Be­wirtschaftung der Felder aufgaben, ist in den wenig­sten Fällen sicher zu beantworten. Katastrophen aber auch natürliche Siedlungsentwicklungen sind wohl ausschließlich die Ursachen eines solchen Verhaltens.

Seuchen und Kriege vermochten kurzfristig ganze Landstriche zu entvölkern. Jahrelange Mißernten, Brände oder das Versiegen einer Quelle konnten Gründe zur Umsiedlung sein. Für Fudenhausen aller­dings wäre auch eine ganz natürliche „Entwicklung“, die zur Wüstwerdung des Dorfes führte, möglich: Der im Scheidetal gegrabene Roteisenstein wurde im hauswirtschaftlichen Betrieb geschmolzen; hierzu be­nötigte man etwa zehnmal soviel Kohle als Erde. (Es war also zweckmäßig, das Erz zur Kohle zu bringen und nicht umgekehrt). Die Kahlschläge wurden im­mer weiter über die bewaldeten Berghänge vorgetrie­ben. Eine Umsiedlung zum immer weiter entfernten Arbeitsplatz wurde in Erwägung gezogen; man war vom Eisen abhängig und außerdem boten sich ja neue Rodungsflächen.

Eine weitere friedliche Version wäre für Fudenhausen denkbar: Das etwa 4 km westlich der Siedlung gelege­ne Driedorf gewann an dem alten Heer- und Handels­weg ,,Rheinstraße“ immer mehr an Bedeutung. Der wirtschaftliche Aufschwung dieses Fleckens und die größere Sicherheit in seinem Wohnbereich könnte die Bewohner Fudenhausens veranlaßt haben, nach und nach ihr altes Wohngebiet zu verlassen, zumal — wie überall in Deutschland, so sicher auch hier — die herrschaftliche Macht dem Kleinbauernstand das Leben schwer machte.

Erstmals wird Fudenhausen im Jahre 1324 genannt. Scherbenfunde konnten ins 11. bis 14. Jh. datiert wer­den, während letztmals im Jahre 1600 die Abgabe des „Fudenhäus’er Zehnten“ genannt wird. Leider sind damit weder die Entstehung noch die Wüstwerdung genau bekannt.

Von Herrn Dr. Gensicke, Hessisches Hauptstaatsar­chiv, erhielt ich folgende Angaben: ,,Am 25. 3. 1324 gibt Rorich von Helmsdorf seinem Ganerben Ludwig von Mudersbach seine Zehnten im Dorf ,Fudenhußen‘, die er von Graf Gottfried von Sayn zu Lehen trug. Die Urkunde ist nur in einer Ab­schrift aus der Zeit um 1450 überliefert (HStA Wies­baden Abt. 340 Nr. 3770).

In einer Grenzbeschreibung des 15. Jhs., die nur in Abschrift aus der Mitte des 16. Jhs. vorliegt, wird ein Grenzstück beschrieben:

, uff der Hoe von den Buschen mit zu dem Buchscharn unden dem Buchscharn zu Fodenhusen mit by den Born, was heenyt dem flassze wais, das horte-ghen Diedorff, das diesyt was Nassauw‘ (HStA W 171 Z 3480).

Auf der Grenze gegen Hirschberg wird auch 1584 und 1585 der ,Fodenheuser Born‘ genannt (HStA W 171 4334). Von den Grafen Sayn trug 1457 Daniel von Mudersbach den Zehnten in Fudenhußen (HStA W Abt. 340 Nr. 3700) und sein Nachkomme Daniel von Mudersbach 1589 den Zehnten in Fudenhußen (HStA WAbt. 340 Nr. 3700) zu Lehen. Vom Zehnten zu Fu­denhußen heißt es 1600, als die von Mudersbach aus­starben: ,Seindt in Abgang kommen, da das Landt wirdt nicht geackert.‘ Damals werden im Bereich die­ses Fudenheuser Zehnten Flurnamen ,uff dem Dri-dorffer Seustall, Fudenheuser Wiese, Reinstraße, Schonbornchen‘ genannt (HStA W171 A 171 f. 49).“

Dies sind die zur Zeit einzigen bekannten Unterlagen über die Wüstung Fudenhausen.

Wo ist Fudenhausen zu finden?

Fudenhausen liegt in der Gemarkung Driedorf, genau gesagt innerhalb des Distrikts 9 auf der „Vorderen Laye“ nördlich der „Alten Rheinstraße“. Fährt man vom Friedhof Driedorf aus in östlicher Richtung durch die Flur „Hinter Körpersheck“, so erreicht man nach 2 Kilometern die Waldgrenze zwischen dem Unter- und Obereberstein des Staatsforstes Driedorf. Nach weiteren 1300 Metern Fahrt auf gut befestigtem Waldweg benutzt man den südlichen Abzweig einer Weggabelung. Leicht bergauf zieht sich von hier aus ein schmaler Weg 500 Meter weit durch niedriges Ge­hölz. Noch einmal gabelt sich der Weg. Wir schlagen die Südrichtung ein und befinden uns unmittelbar im Driedorfer Distrikt 9. Nach wenigen Metern bewegen wir uns bereits direkt auf der Ostgrenze des Wohnge­bietes Fudenhausen.

Ein unbekümmerter Fußgänger wird in dem lichten Buchenbestand kaum etwas Auffälliges entdecken, zumal eine starke Humusschicht und hoher Brennes­selwuchs die Relikte bedecken. Der „Suchende“ aller­dings wird mit jedem Schritt die Steine der Vergan­genheit unter seinen Füßen spüren.

Der Gesamtplan zeigt deutlich 13 Grundrisse von Wohnhäusern, vielleicht auch Vorratshäusern und — nach Prof. Born — den Grundriß des Friedhofes ,,F“.

Die eingezeichneten Wege stammen teilweise aus der Siedlungsperiode und teilweise wurden sie in neuerer Zeit als Holzabfuhrwege angelegt.

Im östlichen Teil des Wohngebietes, in der Nähe der Nordwestmauer des Grundrisses III/3, ist der ehema­lige Dorfbrunnen, der übrigens auch heute noch rela­tiv gut erhalten ist, zu erkennen. In der Gruppierung der Gehöfte ist eine Zusammengehörigkeit der einzel­nen Gebäude — so auch nach Prof. Born — festzu­stellen. Ich habe eine Benennung der Gehöfte mit römischen Zahlen und der zugehörigen Gebäude mit arabischen Zahlen vorgenommen. Sämtliche Gebäude standen auf einer Schütte, die jeweils von Norden nach Süden (hangaufwärts) aufgehäuft war.

Die rechteck- und dreieckähnlichen Gebilde nördlich und westlich des Gehöftes I waren vermutlich Vieh­koppeln und Gärten, ebenso das große Areal im Nordwesten.

Einige Besonderheiten in dem Gelände lassen darauf schließen, daß das mittelalterliche Wohngebiet auf vorgeschichtlichem Bebauungsgebiet errichtet wurde.

Andere Merkwürdigkeiten und Funde lassen verschie­dene Rückschlüsse zu. So wurde zum Beispiel am Punkt ,,C“ des Gesamtplans eine Steinlegung ent­deckt, die eine besondere Beachtung wert ist. Der mittlere der drei von Osten nach Westen verlaufenden Wege wurde an dieser Stelle auf etwa 150 x 50 cm im Rechteck freigelegt, da hier, im Gegensatz zu anderen Wegen, ein homogener steiniger Untergrund mit der Metallsonde festgestellt wurde. Es zeigt sich, daß — gleich einer Römerstraße — alle Steine mit ihrer glat­ten Oberfläche nach oben und an ihren ungleichmäßi­gen Kanten passend aneinandergelegt sind. Deutlich ist die Absicht zu erkennen, hier eine glatte feste Flä­che zu gewinnen. Da zwischen den Steinen und auf der Sohle Eisenoxyd sowie frischer Hämatit gefunden wurden, ist zu vermuten, daß hier eine befestigte Stra­ße zu suchen ist, auf der möglicherweise Roteisenstein zur Eisenschmelze herangefahren wurde.

Als Besonderheit ist auch der Grundriß IV/1 anzuse­hen. Im Gegensatz zu allen anderen Grundrissen ist deutlich ein Niveauunterschied der Gebäudeinnenflä­che zur Außenfläche zu erkennen. Ohne Sondierungs­gräben kann nicht gesagt werden, ob die Bedeutung dieser Sonderheit in der ursprünglichen Bauausfüh­rung oder im Verwendungszweck des Gebäudes be­gründet ist. Ob jüngere Ausgrabungen die Ursache sind, konnte nicht geklärt werden. Allerdings bliebe in diesem Fall die Frage: Wo wurde der Au

Wo wurde der Aushub hin­gebracht? Auch hier wird erst der Spaten die Klärung bringen können. Besonders gut erhalten ist der Grundriß 1/1. Nord- Ost- und Westmauer des Gebäu­des sind zu je einem gleichmäßigen Steinwall zusam­mengestürzt. Die an einem Stufenrain verlaufende Südmauer harrt der Ausgrabung. Es scheint, als wä­ren die Mauerrelikte dieses Gebäudes seit der Aufgabe des Dorfes von Menschenhand unberührt geblieben. Es böte sich — nach Fixierung des sicher erhaltenen Mauerwerks in der Erde — die Möglichkeit, die Mau­ern in ihrer vollen Höhe und Breite zu rekonstruieren, um eine Teilaussage über den Aufbau des Baukörpers zu erhalten.

Interessant ist auch das von Prof. Born als Friedhof erkannte Areal. Es liegt an der südlichen Grenze des Wohngebietes und ist im Plan mit ,,F“ bezeichnet. Die dem Dorf zugewandte Nordseite weist auf den er­sten Blick einen fächerartigen Befestigungscharakter auf. Der Zweck dieser Anordnung ist mir unbekannt. Auffallend sind die besonders großen Steinblöcke, die zur Errichtung der Ost- und Westmauer verwendet wurden.

Innerhalb des Friedhofgeländes sind die Reste einer 16 x 10 Meter ummauerten Fläche zu erkennen, in de­ren Nordwestecke wiederum eine kleinere Fläche, et­wa 6,00 x 3,50 Meter, durch Mauerwerk begrenzt wird. Sollte hier die alte Kirche zu suchen sein? Aller­dings stellt sich dann die Frage, weshalb sie nicht in der üblichen Ost-West-Richtung erbaut wurde.

Auf einem nordöstlich des Wohngebietes gelegenen Hang wurden weitere Reste von Trockenmauern, Steinpodesten und -wällen registriert.

Bei den Untersuchungen über die Ausdehnung der Ackerfluren westlich der Wüstung wurden die Lagen von Kohlenmeilern und Eisenschmelzen gesucht und zum Teil festgestellt.

Eine Spatenforschung in dem gesamten Wohngebiet Fudenhausen ist unbedingt erforderlich und zwar bald! Der hohe Buchenbestand ist zur Zeit derart de­zimiert, daß sich sehr starker Pflanzenwuchs ausbrei­tet und an Stellen, wo dieser nicht allen Klein wuchs unterdrückt, eine Vielzahl von einjährigen Buchen­sämlingen den vergangenen trockenen Sommer über­lebten. Daß die Forstverwaltung diesen Jungwuchs nach besten Kräften hegt und pflegt, ist nur allzu ver­ständlich. Andererseits wird in einigen Jahren das Wurzelwerk dieser Jungbuchen den letzten Rest der Wüstung Fudenhausen zerstört haben. Es ist also Eile geboten, dieses historisch so interessante Gebiet der Nachwelt zu erhalten.

Der geschätzte Leser kann sich über die Vermessungs­arbeiten und die weiteren Pläne beim Verein informie­ren. Als Grundlage für diese Arbeiten dienten ein Auszug, sowie eine Skizze aus der Dissertation von Herrn Prof. Martin Born. Ein besonderer Dank gilt der überaus verständnisvollen und entgegenkommenden Unterstützung der örtlichen Forstverwaltung, beson­ders Herrn Oberförster Lautz und nicht zuletzt dem Vereinsvorsitzenden Herrn J. Wienecke, sowie Herrn Dr. Bauer, Dillenburg, für Beratungen und besondere Hinweise.